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Vorweggenommene Erbfolge – was heißt das?

In erbrechtlichen Belangen gilt in besonderem Maße, dass man sich nicht auf seine Intuition anhand der allgemeinsprachlichen Bedeutung eines Begriffes verlassen darf. Vermeintlich klare Begrifflichkeiten, wie beispielsweise Vor- und Nacherbe, können bei unbedarfter Verwendung völlig unerwartete und vor allem unerwünschte Konsequenzen haben.

Dies gilt auch für den Begriff der sogenannten vorweggenommenen Erbfolge. Auf den ersten Blick scheint dieser, gesetzlich nicht definierte Begriff, selbsterklärend. Auch die Begriffsdefinition des Bundesgerichtshofs weist scheinbar auf eine einfache und unproblematische Handhabung: „Unter einer Vorwegnahme der Erbfolge versteht man die Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teiles davon) durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder mehrere als Erben in Aussicht genommenen Empfänger; sie richtet sich im Grundsatz nicht nach Erbrecht, sondern muss sich der Rechtsgeschäfte unter Lebenden bedienen.“ So weit so klar.

Aber welche juristischen und wirtschaftlichen Konsequenzen hat es in erbrechtlicher Hinsicht, wenn beispielsweise Eltern ein Wohnhaus zu Lebzeiten auf eines ihrer Kinder „in vorweggenommener Erbfolge“ übertragen?

Einige Rechtsfolgen sind in der Tat klar geregelt. So gilt Vermögen, welches ein Ehegatte beispielsweise von seinen Eltern „mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht“ erhalten hat, bei der Auseinandersetzung der Ehe nicht als ausgleichungspflichtiger Zugewinn. Auch im landwirtschaftlichen Bereich gibt es konkrete gesetzliche Folgen, die sich an entsprechende lebzeitige Übertragungen knüpfen.

Aber andere, viel näher liegende Fragen sind schon weniger klar. Wie hat beispielsweise die Verrechnung der lebzeitigen Übertragung mit einem späteren Erbe konkret zu erfolgen? Auf Anhieb will man sagen, der Erbe muss sich den Wert des übertragenen Grundstücks schlicht von seinem Erbteil abziehen lassen. Das wäre aber falsch. Müsste sich beispielsweise bei zwei Geschwistern und einem Nachlasswert von 400.000,00 € eines der Kinder auf diese Weise die lebzeitige Übertragung eines Hausgrundstücks im Werte von 200.000,00 € auf seinen Erbteil von 200.000,00 € anrechnen lassen, erhielte es im Ergebnis 200.000,00 € – das andere Kind aber 400.000,00 €. Um beide Kinder gleichzustellen, muss das Kind mit dem Haus aus dem Nachlass also 100.000,00 € und das andere Kind 300.000,00 € erhalten. Für diese einfache Konstellation hält das Gesetz auch noch eine entsprechende Auslegungsregel parat. Werden die Familienverhältnisse und Erbquoten etwas komplizierter, ist Streit vorprogrammiert.

Apropos Streit: Übertragen Eltern zu Lebzeiten ein Haus auf eines ihrer Kinder, entscheiden sich dann aber später aus triftigem Grund, dieses Kind zu enterben, scheint klar, dass sich dieses Kind auf seine Pflichtteilsansprüche die lebzeitige Hausübertragung anrechnen lassen muss. Das Gegenteil ist aber richtig. Eine solche Anrechnung findet nur statt, wenn sie bereits im Übertragungsvertrag für den Fall einer etwaigen Enterbung ausdrücklich angeordnet wurde.

Dies sind nur zwei Beispiele für vielfältige Fallstricke, die im Zuge einer vorweggenommenen Erbfolge lauern können. Es gilt daher: „Mit warmer Hand“ zu geben ist gut, sich vorher juristisch beraten zu lassen ist besser.