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Gemeinsame elterliche Sorge

Nicht gegenseitige Kontrolle, sondern Kindeswohl maßgeblich

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 21.07.2022 (Az. 1 UF 115/21) verdeutlicht, dass entscheidend für die Prüfung eines Antrags auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge allein das Kindeswohl ist.

Gemeinsame Sorge ist kein Automatismus

Miteinander nicht verheiratete Kindeseltern sind, im Gegensatz zu einem Ehepaar, nicht automatisch gemeinsam sorgeberechtigt. Die elterliche Sorge zunächst nur der Kindesmutter zu.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die gemeinsame elterliche Sorgen zu etablieren: Die unverheirateten Kindeseltern können eine Sorgeerklärung abgeben oder einander heiraten. Ist eine einvernehmliche Lösung nicht möglich, bleibt nur der Weg zum Familiengericht. Der nicht sorgeberechtigte Kindesvater muss dort einen Antrag auf Übertragung der gemeinsamen Sorge stellen. Stimmt die Kindesmutter der Übertragung auch in dem gerichtlichen Verfahren nicht zu, prüft das Familiengericht von Amts wegen, ob die Einräumung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl widerspricht.

Der Fall

Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte über den Antrag eines Vaters zu entscheiden, der die Übertragung der gemeinsamen Sorge für den dreijährigen begehrte.

Die Kindesmutter hatte eingewandt, der Kindesvater habe sie in der Vergangenheit häufig herabgesetzt, beleidigt und ihr die Erziehungsfähigkeit abgesprochen. Außerdem sei der Kindesvater aufbrausend. Die Verfahrensbeiständin, die die Interessen des Kindes vertritt, hatte die Kommunikation zwischen den Kindeseltern als äußerst konfliktbehaftet beschrieben.

Die Entscheidung

Sowohl das erstinstanzlich entscheidende Familiengericht als auch das Oberlandesgericht als Beschwerdeinstanz haben den Antrag des Kindesvaters zurückgewiesen und sich bei der Entscheidung streng an dem gesetzlich vorgegebenen Maßstab orientiert.

Die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung voraus. Fehlen Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit in Gänze, spricht dies in der Regel gegen die gemeinsame Sorge. Bei der Beurteilung dieser Fähigkeiten ist nicht maßgeblich, ob die Kindesmutter die Zustimmung zur Übertragung der Mitsorge im gerichtlichen Verfahren verweigert. Das Gericht prüft, ob konkrete Anhaltspunkte für dafür vorliegen, dass das Kind durch die gemeinsame Sorge erheblichen belastet wird, insbesondere dadurch, dass die Eltern keinen Konsens finden. Ein Widerspruch zum Kindeswohl wird deutlich, wenn sich wichtige sorgerechtliche Entscheidungen, wie die Schulwahl oder ärztliche Eingriffe, verzögern, weil die Eltern sich nicht einigen können. Es ist nicht erforderlich, dass die Eltern stets einer Meinung sind. Entscheidend ist, dass die Kindeseltern in der Lage sind, auch bei unterschiedlichen Vorstellungen am Kindeswohl orientierte Kompromisse zu erzielen.

Der Kindesvater hat mit dem Argument, er wolle erzieherische Alleingänge der Kindesmutter verhindern, nicht durchdringen können. Das Oberlandesgericht hat klargestellt, dass weder die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge noch deren Aufhebung der gegenseitigen Kontrolle oder der Sanktion eines Elternteils dienen. Maßstab ist das Kindeswohl. Diesem steht ein destruktiver Elternstreit entgegen.

Beratungsangebote wahrnehmen

Ein Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorgen ist nur erfolgversprechend, wenn die Kommunikation und Kooperation der Kindeseltern in Bezug auf kindbezogene Belange funktionieren.

Beratungsstellen verschiedener Träger können dabei helfen, andauernde Konflikte aufzulösen und zwischen den Fronten zu vermitteln.

Ein gesetzgeberisches Leitbild, nach welchem die gemeinsame elterliche Sorge automatisch das Beste für das Kind ist, existiert nicht. Das Gericht prüft, bei entsprechenden Anhaltspunkten, jeden Einzelfall anhand von kindeswohlbezogenen Kriterien. Es lohnt sich daher, vor dem Gerichtsverfahren auf Elternebene zu arbeiten, um eine solide Basis zu schaffen.