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Keine Nachlassauseinandersetzung ohne Erben

Einzelne Gegenstände lassen sich nicht "vererben".

Eines der häufigsten Probleme mit selbst geschriebenen Testamenten besteht darin, dass dem Verfasser nicht bewusst ist, dass in jedem Erbfall geklärt werden muss, wer Erbe des Gesamtnachlasses geworden ist. Es genügt nicht, testamentarisch einzelne Nachlassgegenstände zuzuweisen. Angenommen, ein Erblasser verfügt in seinem Testament:
“Mein Sohn Anton erbt all mein Geld. Meine Tochter Berta erbt meine Münzsammlung. Mein Sohn Cäsar erbt meine Ferienwohnung in Rom. Mein Wohnhaus erbt meine liebe Frau Dora.” Selbst wenn hier scheinbar alles klar geregelt ist, werden die Angehörigen nicht umhinkommen, feststellen zu lassen, wer Erbe des Gesamtnachlasses geworden ist.

Warum kann man keine einzelnen Gegenstände vererben?
Vererbt wird immer der gesamte Nachlass, also das gesamte Vermögen, dass der Erblasser bei seinem Tode besaß. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass sämtliche Nachlassgegenstände zunächst in einem (sehr) großen Sack verschnürt sind. Bevor irgendjemand etwas aus diesem Sack bekommt, muss zuerst die Frage beantwortet werden: Wem gehört der Sack? Erst in einem zweiten Schritt gibt dann der Erbe bzw. geben die Erben dann aus dem Sack die einzelnen Nachlassgegenstände an die Person heraus, denen der jeweilige Nachlassgegenstand im Testament zugeordnet wurde. Dieser zweite Schritt erfolgt juristisch auf Grundlage einer sogenannten Teilungsanordnung bzw. aufgrund eines sogenannten Vermächtnisses. Beides gibt der begünstigten Person einen Anspruch gegen den oder die Erben, dass er „seinen“ Gegenstand aus dem Nachlasssack erhält.

Warum so kompliziert?
Das deutsche BGB will zuerst die Frage beantwortet wissen, wer nach dem Wegfall des Erblassers an dessen Stelle tritt. Erst wenn geklärt ist, wer statt des Verstorbenen der verantwortliche Ansprechpartner ist, kann es weitergehen mit der Verteilung einzelner Nachlassgegenstände. Gibt es mehrere Erben, ist der gesuchte Ansprechpartner eben die Gruppe aller Erben, also die Erbengemeinschaft.

Um zu erkennen, dass der Ansatz des BGB durchaus praktische Vorteile hat, genügt es, sich vorzustellen, dass der Erblasser bei seinem Tode nicht nur Wohnhaus, Ferienwohnung, Geld und Münzsammlung besaß, sondern in seinen letzten Jahren eine überaus erfolgreiche Kaninchenzucht aufgebaut hat. Von Kaninchen ist in dem Testament des Erblassers aber keine Rede. Sie würden bei der Verteilung der Nachlassgegenstände übrigbleiben. Es bliebe unklar, wem die Kaninchen gehören.

Wem gehören die Kaninchen? Und zu welchem Teil?
Hier ist es dann nützlich zu wissen: Wenn aus dem Nachlasssack alles gemäß Testament verteilt ist und sich dann überraschenderweise in dem Sack noch Kaninchen befinden, gehören diese Kaninchen eben dem oder den Erben. Denn dem oder den Erben gehört ja der Sack.

Und wer ist nun Erbe?
In dem oben genannten Beispiel hat der Erblasser seinen Angehörigen eine Rätselaufgabe hinterlassen. Er hat nämlich nicht klar bestimmt, wer und zu welchen Teilen sein Erbe sein soll. Es muss nun im Wege der Auslegung festgestellt werden, was der Erblasser wohl bestimmt hätte, wenn man ihm rechtzeitig erläutert hätte, dass es immer (!) einen oder mehrere Erben geben muss.
Sollten einfach alle genannten Angehörigen zu gleichen Teilen Erben sein? Oder in dem Verhältnis, die dem Verhältnis der Gegenstandswerte zum Gesamtnachlasswert steht? Sollte stattdessen die gesetzliche Erbfolge gelten?
Eine Antwort wird gefunden werden. Was bleibt, ist das Risiko, dass die gefundene Auslegung nicht dem echten Willen des Erblassers entspricht.

Denken Sie an die Kaninchen!
Wenn das Testament nicht sehr einfach gehalten ist, beispielsweise nur ein Erbe eingesetzt werden soll, sollte man sich immer juristischen Rat einholen, um unnötige Unklarheiten oder gar Streitigkeiten im Erbfall zu verhindern. In jedem Fall muss sich der Testamentsverfasser bewusst sein: Keiner bekommt irgendetwas aus dem Nachlass, bevor nicht geklärt ist, wem der Nachlasssack gehören soll, wer also der verantwortliche Erbe ist.
Ein gutes Testament muss also immer eine klare Antwort parat halten auf die Frage: „Wem gehören die Kaninchen?“.