Mitverschulden eines 11-jährigen Kindes beim Überqueren der Fahrbahn?
Haftung von Minderjährigen im Straßenverkehr
Das OLG Celle hat jüngst ein interessantes Urteil, AZ: 14 U 129/20, zu der Frage gefällt, ob einem elfjährigen Kind bei einem Verkehrsunfall ein Mitverschulden anzulasten sei. Was war passiert?
Das Mädchen hatte als letztes von 4 Kindern kurz vor 08:00 Uhr morgens im Dunkeln eine Straße in der Nähe ihrer Schule überquert. Eines der vorausgehenden Kinder trug eine gelb reflektierende Jacke. Dieser Gruppe näherte sich ein Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 55 km/h anstatt erlaubter 50 km/h. Kurz bevor das Mädchen den Bürgersteig erreichte, wurde es von dem Pkw erfasst und schwer verletzt. Das Mädchen klagte auf Schmerzensgeld. Das Landgericht hat in erster Instanz dem Mädchen nur zu 75 % Recht gegeben und ihr ein Mitverschulden von 25 % angelastet. Dies hat das OLG Celle anders gesehen:
überwiegendes Verschulden des Pkw-Fahrers
Das Gericht meint, dass der Fahrer des Pkw den Unfall jedenfalls ganz überwiegend verschuldet habe. Nach § 3 Abs. 2a StVO müsse sich ein Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung insbesondere von Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen sei. Der Fahrer hätte dementsprechend sofort sein Fahrverhalten anpassen müssen, als er die Kinder im Straßenverkehr wahrgenommen habe. Darüber hinaus hätte er den Unfall auch verhindern können, wenn er nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte.
Überforderungssituation des Kindes
Das Kind habe sich zwar ebenfalls falsch verhalten, da es beim Überqueren der Straße den vorfahrtberechtigten Verkehr nicht ausreichend beobachtet habe. Insoweit sei aber keine Schuld des Kindes anzunehmen: Nach § 828 Abs. 2 BGB können Kinder ohnehin erst ab Vollendung des zehnten Lebensjahres für Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich gemacht werden. Das Mädchen sei erst unwesentlich älter. Hinzu komme, dass das Kind in nachvollziehbarer Weise überfordert gewesen sei, da es sich schon auf der Straße befunden habe, als es das Fahrzeug wahrgenommen habe. Es habe Entfernung und Geschwindigkeit des Pkw auch aufgrund der Dunkelheit falsch eingeschätzt und reflexhaft die falsche Entscheidung getroffen, der Gruppe hinterherzulaufen. Der Fahrer des Pkw habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass sich das Kind richtig verhalten werde. Dem Kind könne aufgrund der Überforderungssituation kein Vorwurf gemacht werden. Das OLG hat dem Mädchen daher Schadensersatz zu 100 % zugesprochen.
Für Autofahrer gilt daher: Sobald Kinder zu sehen sind, runter vom Gas und in steter Bremsbereitschaft die Situation beobachten!