Wandscher und Partner Navigation

Neues BGH-Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung

Keine Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung

Überraschend hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 05.04.2022, VI ZR 7/21, eine gängige Regulierungspraxis nach einem Verkehrsunfall gekippt. Was lag dem Fall zugrunde? Ein Unfallgeschädigter hatte zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dieser Basis fiktiv abgerechnet, d.h. er hat von der gegnerischen Kfz-versicherung die Netto-Reparaturkosten verlangt, die diese auch erstattet hat. Anschließend hat der Geschädigte sein Fahrzeug teilweise reparieren lassen und unter Vorlage dieser Rechnung bezüglich der Teilreparatur die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer bei der Versicherung geltend gemacht. Die Versicherung hat die Zahlung der Mehrwertsteuer abgelehnt. Auch die beiden ersten gerichtlichen Instanzen haben die Klage des Geschädigten abgewiesen. Der BGH hat diese Entscheidungen bestätigt.

Bisherige Regulierungspraxis gekippt

Bislang war es in der Regulierungspraxis so, dass die Versicherung in der Regel die auf die Teilreparatur entfallende Mehrwertsteuer zusätzlich zu den fiktiven Reparaturkosten nach Gutachten erstattet hat. Dies bot sich für den Geschädigten insbesondere bei älteren Fahrzeugen an. Auch wenn der Geschädigte beispielsweise selbst repariert hat, konnte er die Rechnungen bezüglich der Ersatzteile vorlegen und die dafür angefallene Mehrwertsteuer ersetzt verlangen. Dieser Praxis hat der BGH nunmehr widersprochen.

Bei Teilreparatur keine Mehrwertsteuer

Der BGH führt dazu aus, dass die unterschiedlichen Abrechnungsarten, d.h. die fiktive Abrechnung nach Gutachten und die konkrete Abrechnung nach Reparaturrechnung nicht miteinander vermengt werden dürfen. Es soll u.a. verhindert werden, dass sich der Geschädigte die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“). Insoweit bestehe ein Vermischungsverbot. Wenn der Geschädigte den Weg der fiktiven Abrechnung wähle, könne er nicht Mehrwertsteuer beanspruchen, auch dann nicht, wenn wie im entschiedenen Fall im Rahmen der Teilreparatur tatsächlich Mehrwertsteuer angefallen ist. Diese Mehrwertsteuer sei dann nämlich fiktiv, da der Geschädigte die Teilreparatur nicht zur Grundlage seiner Abrechnung mache, sondern vielmehr den Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechne.

Konkrete Abrechnung

Selbstverständlich kann der Geschädigte allerdings weiterhin zunächst fiktiv abrechnen und dann zu einer konkreten Abrechnung übergehen, d.h. dann auf Grundlage der Reparaturrechnung abrechnen und den ausgewiesenen Bruttobetrag geltend machen.

Nach einem Verkehrsunfall sollte daher anwaltlicher Rat bezüglich der unterschiedlichen Möglichkeiten der Reparatur und Abrechnung eingeholt werden – zumal die für eine Unfallregulierung anfallenden Rechtsanwaltskosten die gegnerische Versicherung zu tragen hat.