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Notartermin muss trotz Corona-Pandemie wahrgenommen werden

Die Problemstellung:

Kinder, Ehegatten und – wenn keine Kinder vorhanden sind – Eltern, haben das Recht auf einen Pflichtteil am Nachlass, wenn sie nach dem Testament des Erblassers weniger als die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils zugesprochen bekommen. Damit der Pflichtteilsberechtigte überhaupt feststellen kann, wie hoch der Nachlass und somit der ihm daran zustehende Pflichtteil ist, hat der Pflichtteilsberechtigte sehr starke Auskunftsrechte gegenüber dem Erben. Unter anderem kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Erbe einen Notar damit beauftragt, ein Verzeichnis über sämtliche im Nachlass vorhandenen Wertgegenstände, Geldvermögen, Ansprüche etc. zu errichten. Dass die Rechtsordnung diesen Auskunftsrechten einen hohen Stellenwert beimisst, zeigt unter anderem eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aus Juli diesen Jahres.

Der Fall:

Die 67-jährige Erbin war bereits durch Teilanerkenntnisurteil dazu verpflichtet worden, ein notarielles Nachlassverzeichnis einzuholen. Einen für den 16.04.2020 anberaumten Termin mit dem Notar bei ihr sagte die Erbin allerdings mit Blick auf die “momentane Situation” ab. Wegen ihrer eigenen stark erhöhten Gefährdungslage vermeide sie zurzeit jegliche Kontakte mit Dritten.

Der pflichtteilsberechtigte Kläger beantragte gegen die Erbin im Zwangsvollstreckungsverfahren ein Zwangsgeld zur Durchsetzung der Pflicht zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses festsetzen zu lassen. Mit Erfolg.

Die Entscheidung:

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main stellte mit Beschluss vom 09.07.2020 (Az.: 10 W 21/20) fest, der Verweis auf die “eigene stark erhöhte Gefährdungslage” – offenbar im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und ihr Alter – genügten nicht, um von Zwangsmaßnahmen abzusehen. Dazu wäre erforderlich gewesen, dass der Erbin auch bei Einhaltung der gebotenen Schutzmaßnahmen entweder bei ihr zu Hause oder am Amtssitz des Notars – gegebenenfalls auch unter Darlegung der vom Notar veranlassten Hygienemaßnahmen – nicht zumutbar gewesen wäre, die zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses erforderlichen Angaben zum Nachlass zu machen. Im Übrigen ordnet das Gesetz keine persönliche Wahrnehmung des Termins zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses an. Auch die Rechtsprechung sehe einen persönlichen Termin nur als Regelfall vor. Insofern wäre in Anbetracht der gegebenen Umstände auch eine schriftliche oder fernmündliche Korrespondenz mit dem Notar in Betracht gekommen.

In dem konkreten, der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, hatte die Erben offenbar versäumt, ausführlicher zu den Gründen vorzutragen, aus denen ihr eine Wahrnehmung irgendeines Notartermins unmöglich gewesen sein soll. Solche Gründe, aus denen die Wahrnehmung eines Notartermins unzumutbar werden, bleiben daher – gerade im Rahmen der aktuellen Corona-Pandemie – durchaus denkbar.

Deutlich wird aber, dass die gesetzliche Pflicht des Erben, dem Pflichtteilsberechtigten durch vollständiges notarielles Nachlassverzeichnis zeitnah Auskunft zum Nachlassbestand zu erteilen, von der Rechtsprechung zum Teil sehr strikt umgesetzt wird. Wer sich, wie offenbar bei der besagten Erbin der Fall, ohne rechtliche Beratung und Vertretung Auskunftsverlangen des Erben entgegenstellt, muss damit rechnen, gerichtlichen Vollstreckungsmaßnahmen unterworfen zu werden, selbst wenn womöglich tatsächlich Gründe für einen Aufschub der Auskunftspflicht vorliegen.