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Sorgerechtsentzug im Eilverfahren

Das Bundesverfassungsgericht zu den Anforderungen der gerichtlichen Ermittlungen

Das Bundesverfassungsrecht hat in einer aktuellen Entscheidung aus März 2023 zu den Anforderungen an den Sorgerechtsentzug im Eilverfahren, also die Trennung des Kindes von den Eltern in Form der Fremdunterbringung, ausgeführt (Beschluss vom 07.03.2023 – 1 BvR 221/23).

Der Fall

Die drei gemeinsamen Kinder des Beschwerdeführers und seiner Frau wurden im Februar 2021 durch das Jugendamt in Obhut genommen und fremduntergebracht. Hintergrund hierfür war eine Strafanzeige der Kindesmutter gegen den Kindesvater. Das Familiengericht entzog beiden Eltern in erster Instanz im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens Teile der elterlichen Sorgen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge. Im Hauptsacheverfahren wurde ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt und letztlich der Beschluss des Eilverfahrens aufrechterhalten. Gegen diesen Beschluss richtete sich der Kindesvater mit der Beschwerde und gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts mit der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Der Kindesvater rügte die Verletzung des Elternrechts, also eine Verletzung des von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde zur Entscheidung nicht angenommen.

Hintergrund zum Verfahren

Das Familiengericht kann durch die sogenannte einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme dann treffen, wenn dies gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Im Sorgerechtsverfahren bedeutet dies konkret, dass ein unverzügliches Einschreiten zum Schutz des Kindes dringend geboten ist. Im Eilverfahren kann eine Anhörung unterbleiben, sodass das Gericht wesentlich schneller eine Entscheidung treffen kann. Den Beteiligten steht gegen einen Beschluss, der im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangen ist, der Antrag auf mündliche Verhandlung, auf Einleitung eines Verfahrens zur Hauptsache und der Abänderungsantrag offen, im Sorgerechtsverfahren auch die Beschwerde.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht stellte erneut klar, dass die räumliche Trennung der Kinder von den Eltern gegen deren Willen den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht darstellt. Ein solcher Eingriff darf deshalb nur unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen, das Kind muss bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet sein. Das Gericht muss im einstweiligen Anordnungsverfahren prüfen, ob ein Schaden bereits eingetreten ist oder sich eine solche erhebliche Gefährdung sich jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit absehbar ist. Nur dann ist ein gerichtliches Einschreiten ohne weitere Ermittlungen geboten.

In dem vorliegenden Fall war eine Schädigung der Kinder bereits eingetreten, denn alle drei Kinder zeigten erhebliche Defizite bei der sprachlichen, motorischen sowie sozio-emotionalen Entwicklung. Der Kindesvater konnte überdies nicht aufzeigen, dass er in der Lage sein würde, den Kindern bei Rückkehr in seinen Haushalt den erforderlichen Schutz zu bieten. Die angestellte Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts war aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts daher nicht zu beanstanden.

Im einstweiligen Anordnungsverfahren sei es weder möglich noch möglich, ein Sachverständigengutachten einzuholen und/ oder einen Sachverständigen anzuhören.

Fazit

Der Sorgerechtsentzug ist trotz des harten Eingriffs in das grundgesetzlich gesicherte Elternecht auch im Eilverfahren möglich. Das Gericht muss angesichts der praktisch limitierten Aufklärungsmöglichkeiten beurteilen, ob die Gefährdungslage des Kindes nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten geboten ist.