Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen
In seiner aktuellen Entscheidung vom 5. Dezember 2024 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt, dass eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitmitarbeiter behandelt. Sofern keine sachlichen Rechtfertigungsgründe vorliegen, liegt ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten vor. Zudem hat das BAG eine (mittelbare) Benachteiligung des weiblichen Geschlechts festgestellt, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitmitarbeiter erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind (vgl. BAG, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 8 AZR 370/20, Pressemitteilung vom 05.12.2024).
Sachverhalt
Der Arbeitgeber ist ein Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmerin ist bei ihm als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40 % eines Vollzeitbeschäftigten eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach einer tarifvertraglichen Regelung sind mit einem Zuschlag von 30 vH zuschlagspflichtig Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmerin für diese Zeiten in Anwendung der tarifvertraglichen Regelung weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen.
Mit ihrer Klage hat die Arbeitnehmerin u.a. verlangt, ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben. Die Anwendung der tariflichen Regelung benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Arbeitgeber beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.
Das Arbeitsgericht hat die Klage in erster Instanz insgesamt abgewiesen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat der Arbeitnehmerin die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 hatte das BAG das zunächst ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 29. Juli 2024 getan. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG teilweise Erfolg. Auch das BAG hat der Arbeitnehmerin die verlangte Zeitgutschrift – in Übereinstimmung mit dem Hessischen Landesarbeitsgericht – zugesprochen.
Unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH hatte das BAG davon auszugehen, dass die tarifvertragliche Regelung insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist, als sie bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsieht. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte das BAG nicht erkennen. Die sich aus dem Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten ergebende Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Überstundenzuschlagsregelung führt zu einem Anspruch der Arbeitnehmerin auf die eingeklagte weitere Zeitgutschrift. Daneben war ihr eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuzuerkennen. Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung hat die Arbeitnehmerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. In der Gruppe der beim Arbeitgeber in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, sind zu mehr als 90 % Frauen vertreten.
Fazit
Mit seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 (8 AZR 370/20) hat das BAG klargestellt, dass Teilzeitbeschäftigte denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge haben wie Vollzeitbeschäftigte – mit Geltung ab der ersten Überstunde. ArbeitnehmerInnen, die die von entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen zu Überstundenzuschlägen betroffen sind, sollten daher umgehend reagieren, um etwaige Nachteile durch tarifvertragliche Ausschlussfristen zu vermeiden.