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Wer trägt das Werkstattrisiko?

Der Geschädigte verunfallt mit seinem Fahrzeug. Er lässt sein Fahrzeug in seiner Werkstatt reparieren und reicht die Reparaturkostenrechnung bei der gegnerischen Versicherung ein. Die Versicherung meint nun, einige Reparaturschritte seien nicht erforderlich gewesen, um den unfallbedingten Schaden vollständig und fachgerecht instand zu set-zen. Sie kürzt die Reparaturkostenrechnung. Was geschieht mit dem noch offenen Betrag? Unter welchen Voraussetzungen muss der Schädiger an den Geschädigten zahlen? Wann muss der Geschädigte beweisen, dass die Reparaturarbeiten allesamt erforderlich waren, um den Unfallschaden instand zu setzen?

Letztlich ist das die Frage, wer das sog. Werkstattrisiko trägt – der Geschädigter oder Schädiger. Wer muss also beweisen, dass in der Reparaturkostenrechnung (keine) überhöhten Material- und Preisansätze, (keine) unsachgemäß oder unwirtschaftlichen Arbeitsweisen der Werkstatt und (keine) tatsächlich nicht durchgeführten einzelnen Reparaturschritte und -maßnahmen abgerechnet sind?

„Rundumschlag“ des Bundesgerichtshofs
Mit den am 16.01.2024 veröffentlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 38/22; BGH VI ZR 51/23; BGH VI ZR 253/22; BGH VI ZR 239/22 und BGH VI ZR 266/22) hat der Bundesgerichtshof zum Thema Werkstattrisiko judiziert:

Werkstattrisiko trägt der Schädiger:

Möglichkeit 1: Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung bei seiner Werkstatt noch nicht gezahlt und verlangt er Zahlung der restlichen Reparaturkosten an die reparaturausführende Werkstatt Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffende) Ansprüche gegen diese Werkstatt an den Schädiger, so bleibt das Werk-stattrisiko bei dem Schädiger. Und zwar auch dann, wenn der Geschädigte die Reparatur-kosten nicht (voll) bei seiner Werkstatt beglichen hat.

Möglichkeit 2: Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung vollständig beglichen, kann er Zahlung an sich selbst – wieder Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffende) Ansprüche gegen die Werkstatt an den Schädiger verlan-gen. Auch in diesem Fall kann sich der Geschädigte auf das Werkstattrisiko berufen.
Zeitgleich stellte Bundesgerichtshof klar, dass das dem Schädiger obliegende Werk-stattrisiko nicht dazu führt, dass die Reparaturkostenrechnung der Werkstatt völlig un-geprüft zu zahlen ist. Repariert die Werkstatt bei der unfallbedingten Instandsetzung auch unfallunabhängige Schäden, greift das Werkstattrisiko nicht. Der Geschädigter muss beweisen, dass alle abgerechneten Instandsetzungsarbeiten unfallbedingte Schä-den betreffen.

Werkstattrisiko trägt der Geschädigte:
Möglichkeit 3: Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung bei seiner Werkstatt noch nicht gezahlt und verlangt er in dem Prozess Zahlung an sich selbst, so kann er sich nicht auf das Werkstattrisiko berufen. Er hat also beweisen, dass die abgerechneten Re-paraturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder unsachgemäßer oder unwirtschaftlich Arbeitsweisen der Werkstatt nicht erforderlich waren.

Und wenn nicht der Geschädigte selbst, sondern die reparierende Werkstatt aus abge-tretenem Recht gegen die Versicherung klagt? Auch das hat der Bundesgerichtshof ent-schieden: Die Werkstatt kann sich dann nicht auf das Werkstattrisiko berufen, sondern muss in dem Prozess beweisen, dass die abgerechneten Positionen erforderlich gewesen sind, um den unfallbedingten Schaden vollständig und fachgerecht instand zu setzen.

Der Bundesgerichtshof hat mit seinen Entscheidungen Klarheit geschaffen und die Posi-tion des Geschädigten gestärkt. Denn der Geschädigte muss nicht aus eigener Tasche Reparaturkosten verauslagen, um sich auf das für ihn positive Werkstattrisiko berufen zu können.