Zwischen Kontinenten und Gerichtssäle: Wenn ein Elternteil das Kind einfach mitnimmt
Hintergrund
Ein bemerkenswerter Sachverhalt lag dem Sorgerechtsstreit vor dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (OLG Karlsruhe (16. Zivilsenat), Beschluss vom 20.11.2024 – 16 UFH 2/24) zugrunde. Ein Vater aus Deutschland hatte beantragt, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung das alleinige Sorgerecht für seine Tochter zu übertragen, nachdem die Mutter das gemeinsame Kind ohne Rückkehrabsicht nach Indien gebracht hatte. Das Gericht wies den Antrag des Vaters.
Reise mit Kind endet in dauerhaftem Aufenthalt in Indien
Das im Jahr 2021 geborene Mädchen lebte nach der Trennung der Eltern im Januar 2023 zunächst bei der Mutter in Deutschland. Ende desselben Jahres reiste diese mit Zustimmung des mitsorgeberechtigten Vaters mit dem Kind für einen zweiwöchigen Aufenthalt nach Indien – kehrte jedoch nicht mehr zurück.
Der Vater beantragte daraufhin in Deutschland die Übertragung der Alleinsorge. Nur mit dieser, so argumentierte er, könne er rechtlich gegen den widerrechtlichen Aufenthalt des Kindes in Indien vorgehen und eine Rückführung erreichen.
OLG: Gewöhnlicher Aufenthalt nun in Indien
Das OLG Karlsruhe sah jedoch keine Grundlage für ein sofortiges Eingreifen. Zwar sei das Gericht aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes grundsätzlich international zuständig, der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes liege jedoch inzwischen in Indien.
Das Mädchen halte sich dort seit fast einem Jahr auf und lebe mit der Mutter als ihrer Hauptbezugsperson. Nach Auffassung des Gerichts sei der Aufenthalt in Indien zum Lebensmittelpunkt geworden. Eine Kindesentführung schließe die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts nicht grundsätzlich aus, so das Gericht.
Kein dringendes Eingreifen erforderlich
Auch die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung seien nicht erfüllt. Ein dringendes Regelungsbedürfnis bestehe nur dann, wenn eine Gefährdung schützenswerter Interessen vorliege – insbesondere des Kindeswohls.
Da das Kind seit fast einem Jahr in Indien lebe und dort aufwachse, sei eine rasche Rückführung ohnehin nicht mehr realistisch. Der Vater habe zudem nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in Indien der Rechtsweg verschlossen sei.
Kindeswohl entscheidend
Die Richter sahen keinen Anlass, dem Vater die Alleinsorge zu übertragen. Maßgeblich sei allein das Wohl des Kindes, nicht etwa ein Ausgleich elterlicher Konflikte oder vergangener Fehler. Zwar habe die Mutter eigenmächtig gehandelt und ihre Bindungstoleranz erscheine eingeschränkt, sie ermögliche dem Vater aber regelmäßige Videotelefonate.
Das Kind habe zudem engere emotionale Bindungen zur Mutter und sei bereits in Sprache und Kultur Indiens verwurzelt. Ein abrupter Wechsel nach Deutschland könne das Kindeswohl ernsthaft gefährden.
Bedeutung für ähnliche Fälle
Der Fall verdeutlicht die rechtlichen Schwierigkeiten, wenn der gewöhnliche Aufenthalt von Kindern eigenmächtig verändert wird. In solchen Fällen bleibt Betroffenen meist nur der Weg über ein Sorgerechtsverfahren. Maßgeblich in derartigen Verfahren ist stets das Kindeswohl und nicht die Sanktion des eigenmächtig handelnden Elternteils.